Dietrich Heintz, GIS-Experte und CEO von cropix, beschäftigt sich mit dem Einsatz von Fernerkundungsdaten in der Landwirtschaft – insbesondere mit SAR Satellitendaten. In diesem Gastbeitrag stellt er sich der Frage, ob künstliche Intelligenz die Analyse von Fernerkundungsdaten substantiell verbessern wird.
Gastbeitrag von Dietrich Heintz (CEO von cropix)
“Wenn wir an künstliche Intelligenz denken, dann verstehen wir darunter Algorithmen, die auf Computern ausgeführt werden, und die in irgendeiner Form menschlicher Intelligenz überlegen ist. Wir haben die Erwartung, dass diese Algorithmen viel größere Datenmengen verarbeiten können und damit potentiell mehr Wissen sammeln, analysieren und verwerten, als Menschen es könnten.
Es ist unbestritten, dass ein Computer größere Datenmengen verarbeiten kann als ein Mensch. Aber sind wir uns auch im Klaren darüber wie ein Mensch seine Intelligenz einsetzt bzw. wie er eine Entscheidung trifft?
Wie viel Erfahrung bzw. Fachwissen steckt in einer Entscheidung? Wie viel basiert auf der Synergie von interdisziplinärem Austausch mit Kolleginnen und Kollegen?
Intelligenz für sich alleine betrachtet liefert noch kein Ergebnis. Und wenn die Lösung eines Problems auf einer Idee basiert, die manchmal wie aus dem Nichts in unseren Sinn kommt, dann könnte man in dem Fall auch von Intuition sprechen.
Betrachten wir die Fernerkundung im Bereich der Landwirtschaft und dabei zunächst ein paar typische Use Cases oder Fragestellungen:
- Mit Hilfe von Fernerkundungsdaten sollen Anbauflächen nach Kulturarten unterschieden werden.
- Wir wollen die räumlich-zeitliche Entwicklung der Biomasse beobachten.
- Veränderungen nach Schadensereignissen sollen mit Hilfe von Fernerkundungsdaten in Klassen eingeteilt und dargestellt werden.
- Wir wollen die Erträge bereits ein paar Wochen vor der Ernte abschätzen.
Im Detail verbergen sich dahinter tatsächlich komplexe Fragestellungen, die ein agronomisches Verständnis voraussetzen. Fernerkundungsdaten liefern uns dazu Daten, die großflächig und regelmäßig mit einheitlicher Methode erfasst werden. Für jeden Pixel und jeden Kanal erhalten wir einen Wert. Haben wir eine Pixelgröße von 10×10 m, dann haben wir pro Kanal und Pixel einen Durchschnittswert für eine Fläche von 100 m².
Kulturarten unterscheiden

Bei der Unterscheidung von Kulturarten müssen wir zunächst wissen, welche Kulturen zu welcher Jahreszeit angebaut werden. Wann wird üblicherweise gesät, wann wird geerntet?
- Wenn zeitgleich andere Kulturen ebenfalls angebaut werden, müssen wir die Unterschiede zwischen den Kulturen aus den Daten herauslesen können, um eine Kulturarten-Unterscheidung durchzuführen.
- Die Wertekombination aus den verschiedenen Kanälen über eine Zeitreihe ermöglicht es uns, Verläufe abzubilden und darin Muster zu erkennen. Zeitlich-spektrale Muster, die wir dann ggf. bestimmten Kulturarten zuordnen können.
Von diesen Kulturarten können jedoch in einem Gebiet unterschiedliche Sorten angebaut werden, die in ihrem Erscheinungsbild durchaus variabel sind.
Biomasse-Entwicklung
Wir wissen, dass der Ertrag einer Kulturpflanze letztlich aus der Biomasse-Entwicklung resultiert.
- Wir beobachten die Biomasse-Entwicklung über einen gewissen Zeitraum und lassen die Daten in ein Modell fließen, dass wiederum den Ertrag mit einem gewissen Fehlerrahmen zurückgibt.
- Dabei sollten wir wissen, welche Wachstumsphase für die Ertragsbildung entscheidend ist. Jedoch kann das Verhältnis von Biomasse zu Ertrag von Sorte zu Sorte erheblich variieren.
Veränderungen nach Schadensereignissen

Was ist die Aufgabe eines Schadenschätzers bei einer Ernteversicherung?
Nach einem Schadensereignis reist ein Schadenschätzer in das Schadensgebiet und begutachtet die Flächen, um den Ertragsverlust, der durch das Schadensereignis hervorgerufen wurde, abzuschätzen:
- Er hat agronomisches Wissen und Schadensbilder in seinem Gedächtnis und weiß, wie die unterschiedlichen Einflüsse auf die Kulturpflanzen aussehen.
- Zudem hat er eine Methode nach der er stichprobenhaft eine gewisse Anzahl von Pflanzen nach Schäden genau analysiert und die erfassten Werte verrechnet, um zu einer Schadensquote für den Stichprobenpunkt zu kommen.
- Er weiß, wie die aktuelle Saison bis dahin verlief und, ob es in der Region andere Einflüsse gab, die zwar nicht versichert waren, aber ebenfalls den Zustand der Pflanzen beeinträchtigt haben. Solche negativen Effekte müsste er dann vom versicherten Schaden herausrechnen.
- Er hat auch eine Vorstellung davon, ob der verursachte Schaden wiederum Folgeschäden nach sich zieht, die den Schaden noch weiter vergrößern können, wie z. B. Pilzbefall in Folge von Hagelschaden.
Was hat er jedoch nicht? Genügend Zeit, um ausreichend viele Stichprobenpunkte zu erfassen, damit sein Ergebnis statistisch abgesichert ist. Denn er muss die Fläche nach zwei Kriterien unterteilen: der Schadensquote und der Flächenanteile je Schadensquote.
Bei den Flächenanteilen können Fernerkundungsdaten sehr hilfreich sein, weil sie großflächig und regelmäßig Daten erfassen. Wenn sich in den Daten Zonen abbilden, die die Veränderung nach dem Schadensereignis verlässlich darstellen, dann kann man auf dieser Basis die Flächenanteile der einzelnen Schadensquoten bestimmen.
Fazit
Das Beispiel zeigt, dass der Mensch komplexe Fragestellungen auflösen kann. Dass er oder sie im Kontext mit dem Saisonverlauf und unterschiedlichen Einflüssen auf die Ertragsbildung ein Gesamtbild formen kann und daraus letztlich das Ergebnis schlussfolgert.
Er orientiert sich an Mustern: Schadensmustern an den Kulturpflanzen, zeitlichen Mustern über den Saisonverlauf hinweg und räumlichen Mustern, die für das Schadensereignis typisch sind.
Auch künstliche Intelligenz analysiert zeitliche, spektrale und räumliche Muster aus den Datenreihen. Man könnte nun glauben, dass man mit künstlicher Intelligenz die gleichen komplexen Aufgaben erledigen kann, wenn man genügend Daten in ausreichender räumlicher, zeitlicher und spektraler Auflösung vorliegen hat.
Was brauchen wir aber zusätzlich? Die Referenzdaten und damit das Wissen und die historischen Ergebnisse, um das System trainieren zu können. Dann müsste es doch eigentlich funktionieren, oder?
Eigentlich schon. Allerdings sind diese Referenzdaten ebenfalls mit Fehlern behaftet. Denn Fernerkundungsdaten unterliegen einem gewissen Messrauschen. Die zeitliche Auflösung wird manchmal unterbrochen, weil Daten nicht verfügbar sind. Ein Problem was besonders bei optischen Daten regelmäßig der Fall ist. Und wie bereits erwähnt, können Flächen der gleichen Kulturart sehr unterschiedlich aussehen.
Das heißt, wir haben in unserem Messsystem eine gewisse Unschärfe. Und hier scheiden sich die Geister: die eine Fraktion Fernerkundler:innen glaubt, mit künstlicher Intelligenz die Unschärfe herausrechnen zu können. Die anderen glauben, dass dies eher nicht der Fall ist, und dabei sogar die Gefahr besteht, falsche Ergebnisse zu produzieren, die wir nicht mehr als solche erkennen.
Wir sollten jedenfalls kritisch bleiben und uns eingestehen, dass das, was der Satellit nicht detektiert auch mit künstlicher Intelligenz nicht sichtbar wird.
Wir sollten nicht nur auf die potentiellen Anwendungsmöglichkeiten der künstlichen Intelligenz fokussieren. Es wäre ebenso wichtig, die potentiellen Anwendungsmöglichkeiten der einzelnen Sensoren genauer zu kennen.”

Dietrich Heintz (CEO von cropix)

Es handelt sich um eine persönliche Meinungsäußerung des Gastautors.